Hilfe in höchster Not

Wie Dr. Walther Kronheim den Holocaust in Bad Oeynhausen überlebt.

Beim Namen Dr. Walther Kronheim denken wir an den ersten Bürgermeister Bad Oeynhausens nach der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus. Dass er Jude war, eine Verfolgungsgeschichte hinter sich hatte und sich diese auch auf Bad Oeynhausener Gebiet abspielte, ist ebenso in Vergessenheit geraten, wie der Oeynhausener Landwirt, der ihm das Leben rettete.

Der Landwirt, um den es hier geht, ist Karl Steinmeyer. Er hielt den jüdischen Rechtsanwalt Dr. Walther Kronheim Anfang 1945 für etwa drei Monate auf seinem Hof am Hamkebach in der Körnerstraße versteckt.

Wie es dazu kam, dass Dr. Kronheim, der bis dahin weder einen Bezug zu Bad Oeynhausen noch zur Person Karl Steinmeyers hatte, auf dessen Bauernhof gelangte, bedarf eines kurzen Rückblicks.

Walther Kronheim (rechts) mit Vater und Bruder

Vom Kriegshelden zum Verfolgten

Der Lebensmittelpunkt von Dr. Walther Kronheim liegt im Ruhrgebiet. 1896 als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie in Wanne-Eickel geboren, arbeitet er während seines Jurastudiums und später als promovierter Rechtsanwalt und Notar in verschiedenen Ruhrgebietsstädten. Seine Ehe mit Irene Holländer, einer Verwandten der Familie Anne Frank, wird 1933 geschieden. Kronheim heiratet noch im gleichen Jahr Else Werner geb. Schmidt und macht sich mit einer eigenen Anwaltskanzlei in Wanne-Eickel selbstständig. Hier lebt das Ehepaar bis zur Bombenzerstörung ihres Hauses 1944.

Walther Kronheim als Offizier im 1. Weltkrieg

Vor den Nationalsozialisten fühlt sich Kronheim lange sicher, weil er als Offizier im 1. Weltkrieg diente, aus dem er als armamputierter Kriegsversehrter zurückkehrte, mit militärischen Auszeichnungen hochdekoriert wurde und außerdem in 2. Ehe mit einer Nichtjüdin verheiratet ist.

Doch es zeichnet sich ab, dass ihn all das nicht dauerhaft schützt. Bereits 1933 entzieht man ihm das Notariat. Er kommt mehrfach in sogenannte Schutzhaft. 1938 wird er aus der Rechtsanwaltschaft ausgeschlossen und muss seine Kanzlei aufgeben. 

Glück im Unglück für den Juristen: Mit der Zulassung zum sogenannten Konsulenten wird Dr. Kronheim die Rechtsvertretung von Juden übertragen.

Sein Dienstbezirk vergrößert sich stetig, bis er schließlich der letzte jüdische Konsulent für sämtliche rheinisch-westfälischen Landgerichtsbezirke ist. In dieser Funktion ist er den Machthabern so lange unentbehrlich, wie es noch des Rechtsbeistandes für Juden oder Synagogengemeinden bedarf.

Es ist eine Frage der Zeit, wann sein Status als Frontoffizier, Konsulent und Ehepartner einer Christin keine Lebensversicherung mehr bedeuten. Seine Frau Else wird bereits seit einiger Zeit seitens der Gestapo zur Einreichung der Scheidung gedrängt, immer häufiger werden jetzt auch die jüdischen Partner der Mischehen verhaftet und ins KZ deportiert, eine Emigration ins sichere Ausland ist 1944 nicht mehr möglich.

Versteckt auf Steinmeyers Hof

Wahrscheinlich im allerletzten Augenblick tauchen Else und Walther Kronheim im September 1944 gemeinsam unter. Es beginnt ein Leben in der Illegalität, mitten in den schlimmsten Kriegswirren, in ständiger Angst entdeckt zu werden und eine Odyssee, die über Kleve, München, Schwenningen, Hagenau am Bodensee, Bitzau im Bregenzer Wald schließlich im Januar 1945 nach Bad Oeynhausen führt.

Hier leben seit einigen Jahren die beiden Brüder von Else Kronheim, Friedrich und Herbert Schmidt. Letzterer ist Schriftleiter bei den „Westfälischen Neuesten Nachrichten“. Beide wohnen in der Körnerstraße, sind also Nachbarn des Landwirts Karl Steinmeyer.

Wie sich alles genau abgespielt hat, ist nicht überliefert. Aber feststeht, dass Steinmeyer ein Versteck angeboten und dieses auf seinem Gehöft mit Bedacht ausgewählt haben muss. Denn weder seine Frau noch sein 10-jähriger Sohn haben über die vielen Wochen geahnt, dass ein Verfolgter auf ihrem Hof mitversorgt wird.

Nicht nur Karl Steinmeyer geht damit ein hohes Risiko für sich und seine Familie ein, sondern auch die beiden Schwager von Dr. Kronheim, bei denen nach dem Untergetauchten gefahndet wird.

Ihrer aller Mut ist ein Beispiel an Zivilcourage! Denn auch wenn sich das Kriegsende bereits abzeichnete, wusste im Januar 1945 niemand zu sagen, wie lange sich das Terrorregime noch an der Macht halten, der Holocaust noch andauern würde, über welchen Zeitraum der Unterschlupf geheim zu halten wäre.

Bedeutende Persönlichkeit

Nach drei Monaten kann Dr. Kronheim sein Versteck verlassen. Als die ersten amerikanischen Panzer in Bad Oeynhausen einrollen, geht er den Alliierten entgegen, um sie als seine – auch ganz persönlichen – Befreier zu empfangen.

Stadt- und Kurdirektor Dr. Walther Kronheim

Dass er sich dann nur einen Tag darauf – trotz traumatisierender Verfolgung – als Verbindungsmann zwischen Militäradministration und Stadtverwaltung zur Verfügung stellt, sich zehn Tage später zum kommissarischen Bürgermeister ernennen lässt, sich damit den erdrückenden Nachkriegsproblemen in der besetzten Stadt stellt, dass er sich im Verlauf als mittlerweile Stadt- und Kurdirektor ohne Schuldzuweisungen für das Wohl der Bad Oeynhauser*innen einsetzt und um die Belange von Stadt und Heilbad gegenüber der Besatzungsmacht kämpft, dass er selbst dagegen anonyme Deskreditierungsversuche aushalten muss, macht deutlich, welch starke Persönlichkeit Dr. Walther Kronheim gewesen sein muss.

Durch die Wertschätzung seiner Arbeit in höchsten politischen Kreisen und seine Diplomatie gegenüber den Besatzern kann er einige wegweisende Weichenstellungen für Stadt und Bad erreichen. Leider ist ihm nicht vergönnt, seine politische Wirkungskraft weiter zu entfalten. Dr. Walther Kronheim verstirbt 1950 unerwartet im Alter von nur 53 Jahren in Bad Oeynhausen.

Endspiel Westfalen-Pokal 1949 (Kronheim 2. von rechts)