Dehmer Keramik – Vom Klinkerstein zur Teekanne

In allen Dehmer Haushalten fand sich das sogenannte „braune Steinzeug“. Hart und kochfest musste das Geschirr sein, denn es war für den täglichen Gebrauch bestimmt. Und warum „Braun“? Weil für die Keramik das gleiche Rohmaterial wie für die Dehmer Klinkersteine verwendet wurde. Mit der Fertigung von Feinkeramik für den Hausgebrauch entwickelte das „Dehmer Klinkerwerk“ nach dem 2. Weltkrieg einen ganz neuen Produktionszweig.

Über die Weser in die Welt

Das „Dehmer Klinkerwerk“ und die „Heisterholz Keramik“ gehen auf die Gründung einer Dampf- und Ringofenziegelei im Jahr 1899 zurück. Der Dehmer Klinker genoss einen sehr guten Ruf. Ausschlaggebend dafür war der im Wiehengebirge abgebaute qualitativ hochwertige Ton. Hergestellt werden Klinkersteine für Pflaster- und Wasserbauten mit hoher Druckfestigkeit für Schleusen, Tunnel, Schornsteine, Industriebauten. Vor dem 2. Weltkrieg gehen 85 Prozent der Produktion nach auswärts. Die Steine werden über eine Werkschmalspurbahn und eine Kaianlage an der Weser ins Ruhrgebiet, nach Berlin sowie zum Weitertransport in die Ostseehäfen bis nach Königsberg und Oberschlesien verschifft. Unmittelbar nach Kriegsende arbeitet das Unternehmen zunächst für die Militärregierung. Wenige Jahre später wird fast ausschließlich für den Wiederaufbau von vor allem Industrieanlagen, Gas- und Wasserwerken produziert ... und die Firma schafft sich ein zweites Standbein.

Mit der Drehscheibe in die Zukunft

„Im Jahre 1946 wurde die Idee verfasst, eine kleine Töpferei im Gebäude der Werksanlagen des Dehmer Klinkerwerkes Ernst Rauch einzurichten. Es waren dazu nicht mehr vorhanden als der Träger der Idee - Herr Dr. Ing. Alfred Ungewiss - kurz zuvor aus der Internierung in England zurückgekommen, und ein alter Trockenschuppen des Klinkerwerkes, der abgerissen und für die Werkstatt wiederaufgebaut wurde“, so heißt es im Rückblick über das Nachkriegsprojekt von Dr. Alfred Ungewiss, dem Sohn des damaligen Geschäftsführers Karl Ungewiss. Vor dem Krieg hatte Alfred Ungewiss in einem Berliner Keramikwerk gearbeitet. Was er mitbrachte war das Knowhow, was er vorfand, war ein Tonloch mit Lehm, aus dem bisher ausschließlich Klinkersteine hergestellt worden waren. Seine Vision: schlichte Zierkeramik und Gebrauchsgeschirr, das bezahlbar für Arbeiter, Flüchtlinge, Evakuierte und Ausgebombte und dabei nicht nur praktisch, sondern auch die Lebensqualität steigern sollte.

Mit der Töpferei kann nicht sofort begonnen werden. Bis die dafür notwendigen Gerätschaften in den Zeiten allgemeinen Mangels herangeschafft sind, vergeht ein Jahr. Übergangsweise meldet Alfred Ungewiss ein Gewerbe als Chemische Fabrik an und beginnt mit der Produktion von Kosmetikpuder.

1947 gründet er unter dem Dach des „Dehmer Klinkerwerks“ die „Keramische Werkstätte Dr. Ing. Alfred Ungewiss“ als eigene Firma. Heisterholz-Inhaber Ernst Rauch tritt dieser als Gesellschafter bei. In den folgenden Jahren wird die Kombination von handwerklicher Kunst – einem der ältesten Handwerke überhaupt – und modernen industriellen Fabrikationsmethoden perfektioniert.

Ein Leben für die Keramik: Jan Bontjes van Beek

Eine neue Ära in künstlerischer Hinsicht beginnt als die Dehmer Keramikwerkstatt in den Jahren 1950 bis 1953 mit Jan Bontjes van Beek einen Keramiker von Weltruf für sich gewinnen kann.

Bontjes van Beek wird als Sohn holländischer Eltern im dänischen Vejle geboren. Mit Keramik kommt er erstmalig in der Künstlerkolonie Fischerhude bei Bremen in Berührung, wo er nach dem Erlernen des Handwerks später auch seine erste eigene Werkstatt errichtet. In den 30er Jahren siedelt er nach Berlin über, nimmt an beachteten Ausstellungen teil, die ihm internationale Anerkennung einbringen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird er als Dozent an die Hochschule für angewandte Kunst in Berlin-Weißensee berufen, deren Leitung er nach drei Jahren niederlegt.

Der Wunsch freien künstlerischen Schaffens führt Bontjes van Beek nach Dehme in das Keramische Werk Dr. Alfred Ungewiss. Hier entstehen nicht nur Entwürfe für industrielle Serienerzeugnisse in Steinzeug, sondern aus seiner Hand auch wieder neue individuelle Arbeiten. Auch Entwürfe für Rosenthal-Porzellan fallen in jene Zeit.

Die Verbindung zwischen Jan Bontjes van Beek und Alfred Ungewiss bleibt bestehen. Noch viele Jahre – Bontjes van Beek ist längst wieder Hochschulprofessor – verbringt er seine Semesterferien im Keramischen Werk in Dehme.

Für das später kurz „Heisterholz Keramik“ genannte Werk sind in den Folgejahren weitere bekannte Keramikkünstler tätig. 1984 wird der Betrieb eingestellt.